Gummerbach, den 01.04.2019
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
der Krimi zum TI-Anschluss hat es in sich !
Zur Vertreterversammlung am 30.03.2019 und der einstimmigen Resolution haben wir bereits berichtet.
Es ist nicht klar, wieviele Kollegen sich bereits angeschlossen oder angemeldet haben. Nach Bericht im Deutschen Ärzteblatt ist für März 2019 von ca. 40 Prozent auszugehen.
Die Mehrzahl der Kolleginnen und Kollegen ist äußerst skeptisch . Das ist angesichts der Informationen seitens der Körperschaften nicht verwunderlich, da sie unvollständig sind und viele Fragen offenlassen u.a. zu den Sicherheitsrisiken . Es gilt das vom BSI vorgegebene Schutzniveau und damit wird das System für sicher erklärt.
10 von mir eingereichte Fragen zur VV wurden nicht vom Vorstand, sondern vom Justitiar lapidar beantwortet: die KVNO sei nicht zuständig, sondern die gematik und das BSI. Die Fragen sind unten aufgeführt *. Jede/r kann sich eine Meinung bilden, ob die KVNO da nicht hätte aktiv werden können.
Die gematik wiederum verweist bei Arztanfragen an die KV ! Das BSI veröffentlicht seine Zertifizierungen aufgrund der Common-Criteria und verweist auf die entsprechenden englischsprachigen Dokumente.
Die Sicherheitszertifikate für die Konnektoren zeigen die möglichen Angriffswege auf, für die die Praxis haftet. Diese sind in den "Beipackzetteln" der Konnektoren enthalten (BSI-Sicherheitszertifikat), die aber nicht kommuniziert werden ! Eine von mir erstellte Synopse zu "TI und Sicherheit" mit allen Quellen und Belegen finden Sie hier. Das Papier diente für eine interne Diskussion im Hausärzteverband Nordrhein.
Unsere begründete Einschätzung: die Sicherheitsstandards für die dezentrale TI - das sind die Komponenten, die in der Praxis installiert werden - entspricht nicht der aktuellen Gefährdungslage und internationalen Empfehlungen. Die Schwachstellenanalysen sind theoretisch und werden nicht durch sog. Penetrationstests in realen Praxisumgebungen getestet ! Diese Ansicht wird von Vielen geteilt.
Ebenfalls gibt es massive und berechtigte Vorbehalte zur Störanfälligkeit des TI-Anschlusses wegen Interoperabilitätsproblemen, was vom KV-Vorstand im September 2018 als "Kinderkrankheiten" bezeichnet wurde.
Sind Kinderkrankheiten wie Masern harmlos ? Ist der mehrstündige Praxisabsturz harmlos ? Wird die Krankenbehandlung dadurch gefährdet ?
Mit diesen Fragen will sich offenbar niemand von den Gesellschaftern der gematik und deren regionalen Körperschaften wie die KVen auseinandersetzen. Unisono wird das nachgebetet, was "von oben" kommt.
Eigene Sicherheitsaufklärungen und Nachfragen der KV oder -wie am 14.09.2018 versprochen- Anregungen zu "Testlabors": Nichts dergleichen.
Viele Kolleginnen und Kollegen haben sich - und das wissen wir aus persönlichen Gesprächen- entschlossen, sich nicht anschließen zu lassen und die 1% Honorarkürzung angesichts dieser Situation in Kauf zu nehmen, um ihre Praxis nicht zu gefährden und aus einem tiefen Misstrauen heraus. Diejenigen, die sich anschließen lassen, tun das mehrheitlich unter Zwang. Andere wollen eine physikalische Trennung zum PVS, wie es auch das Gesetz ermöglicht und von der gematik als Szenario der "Stand alone"-Lösung beschrieben ist.
Diese Lösung geht mit erheblichen Mehrkosten einher.
An dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, dass der sog. Telematik-Beirat bei den Ärztekammern NO und WL nur noch aus "friendly usern" besteht, d.h. Kolleginnen und Kollegen, die gegen 5.000 Euro Aufwandsentschädigung an den Tests 2017 teilgenommen haben und dazu eine Schweigeverpflichtung unterschrieben haben. Der Informationsinput in den Beirat erfolgte nur durch die gematik !
Aktuell will das BMG die gematik mit 51% übernehmen und alle Prozesse dort mit Mehrheit steuern im Rahmen der "Digitalisierungsoffensive".
Und jetzt die ganz schlechte Nachricht , zu der weder die KV noch die KBV bislang informiert haben, obwohl nach eigenem Bekunden das Gesetzgebungsverfahren zum TSVG "eng begleitet" wurde.
Und dieser Sachverhalt zerschlägt für alle Kolleginnen und Kollegen, die 2021 noch arbeiten wollen, jede Hoffnung auf eine Arbeit ohne TI-Anschluss.
Es geht um die Änderung des Paragraphen 295 SGB V. Dazu hat die KBV im Anhörungsverfahren Stellung bezogen und dem auch zugestimmt, nämlich dass ab 01.01.2021 sämtliche AU-Bescheinigungen via Telematikinfrastruktur direkt an die Krankenkassen übermittelt werden müssen. Ohne TI-Anschluss ist ab diesem Zeitpunkt keine vertragsärztliche Leistung AU -Bescheinigung mehr möglich und deshalb ohne TI-Anschluss kein Arbeiten mehr!
So ist es im zum TSVG geregelt. In einem hektischen Beratungs- und kurzem Anhörungsverfahren wurde das Gesetz durchgezogen bei Ablehnung sämtlicher Oppositionsanträge (s. Schilderung auf der Homepage des Bundestages).In der Gesamtbewertung des KVNO-Vorstandes zu den Regelungen des TSVG : Es zeige sich ein tiefes Misstrauen gegenüber der Selbstverwaltung und , wie der Vorsitzende der KVNO Bergmann zu Recht am 30.03.19 fragte: "Wie können wir in den Praxen noch Luft kriegen ?"
Was er nicht erwähnte (auch nicht in einer Synopse zum TSVG):
"§
295
Übermittlungspflichten und Abrechnung bei ärztlichen Leistungen“.
b) Absatz 1 wird wie folgt geändert:
aa) Satz 1 Nummer 1 wird wie folgt gefasst:
„1. die von ihnen festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten,“.
bb) Nach Satz 1 wird folgender Satz eingefügt:
„Die Angaben nach Satz 1 Nummer 1 sind unter Angabe der Diagnosen sowie unter Nutzung der Telematikinfrastruktur nach § 291a unmittelbar elektronisch an die Krankenkasse zu übermitteln;dies gilt
nicht für Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, die nicht an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sind.“
Wer das nachlesen möchte: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/063/1906337.pdf
In dem Dokument kann man mit dem Suchbegriff "295" alle Textstellen und Erläuterungen dazu finden.
Geht es noch schlimmer ?
Eindeutig JA, denn die Kodierrichtlinien sollen erneut und verbindlich kommen mit in der Software hinterlegten Prozeduren !
"Liegen dem KVNO-Vorstand seit 08/2018 inzwischen Erkenntnisse und Ergebnisse vor zur Interoperabilität der dezentralen TI-Komponenten
aus eigenen oder veranlassten Testreihen?
aus Nachfragen bei den PVS-Herstellern ?
2.Da die gematik zu Arztanfragen auf die KV verweist: Wie wird die Sicherheitsarchitektur der Konnektoren beurteilt
nach CC-Kriterien ?
aufgrund der in den Sicherheitszertifikaten des BSI angegebenen möglichen
Angriffswege ?
aufgrund der Schutzklasse ?
3.Wie sieht der Vorstand der KVNO das Haftungsrisiko von angeschlossenen Arztpraxen
zu den in den Sicherheitszertifikaten des BSI beschriebenen möglichen Angriffswegen über z.B. administrative Schnittstellen zur PVS-Wartung ?
bei offensichtlich fehlenden Penetrationstests durch das BSI gem.
Sicherheitszertifikaten ?
bei unterbliebenen Sicherheitsaufklärungen durch die installierenden Provider?
bei unterbliebener Aushändigung der Sicherheitszertifikate und Konformitätserklärungen durch die Provider ?
bei den Erkenntnissen aus Cyberattacken auf Gesundheitseinrichtungen ?
4.Fühlt sich der Vorstand der KVNO verantwortlich zur Klärung von Sicherheitsfragen ?
5.Wen zieht der Vorstand der KVNO heran zur Klärung von Sicherheitsfragen von Bedeutung für die Sicherstellung und der an die TI angeschlossenen Praxen ?
6.6.Welche Informationen hat der Vorstand der KVNO zu den aufgeworfenen Fragen durch
die gematik ?
durch die KBV als Gesellschafter der gematik?
7.Hält der Vorstand der KVNO die alleine auf technischen Vorkehrungen beruhende Sicherheitsarchitektur für ausreichend, wenn international aufgrund von Cyber-Attacken proaktive Schwachstellenanalysen und Penetrationstests gefordert werden, wie sie auch der TÜV für Unternehmen weltweit anbietet und dieses zur Security Policy gehört z.B. zur Absicherung zentraler Server (auch bei 2-Faktor-Authentifizierung und verschlüsselten Daten )?
8.Hält der Vorstand der KVNO die Sicherheitskultur für das größte IT-Projekt weltweit auf dem Hintergrund von Cyberattacken für ausreichend und was wird unternommen, um im Sicherstellungsbereich der KVNO eine höchstmögliche Sicherheit herzustellen ?
9.Sieht sich der Vorstand der KVNO in der Verantwortung, eigene Ermittlungen,Tests und Sachverhaltsfeststellungen zu den aufgeworfenen Fragen zu veranlassen oder durchzuführen und welche Kontakte dazu bestehen dazu zur gematik und zum BSI ?
10.Wenn sich Praxen im Rahmen einer Rechtsgüterabwägung zwischen ungestörter Krankenbehandlung als primärer vertragsärztlicher Pflicht versus Interoberabilitätsrisiken mit Betriebsstörungen und ungeklärten Haftungsrisiken zu Cyberattacken entschließen, sich bei angedrohtem 1% Honorarabzug nicht an die TI anzuschließen: Wie steht der Vorstand der KVNO angesichts der aufgeworfenen Fragen zu dieser Rechtsgüterabwägung?"